Sonntag, 10. Januar 2010

Prolog (gesamt)


Am Anfang war das Wort.
Es hallte über gewaltige Felsformationen, wehte über das Wasser der Meere, blies in Felder und Wiesen und rauschte durch uralte Wälder. Tausende Kehlen gaben es wider, doch sollte es Abermillionen Jahre dauern, ehe es einem Geschöpf gelang, das Wort in Stein zu bannen.
Im Dunkel der Zeit geriet es in Vergessenheit und kein Mund, Maul oder Schnabel konnte sich erinnern, wie man es formen musste.
Allein in Stein gemeißelt, wispert es hin und wieder; dann wogen die Gräser und tragen es über schwarze wie braune Erde, manchmal auch über ocker- oder rotfarbene. Doch Salzwasser ist ihm fremd geworden und an die mächtigen Stämme von Eiche und Kastanie vermag es sich nicht zu erinnern. Seine Macht schwindet, der Hauch allen Anfangs vergeht.
Und am Ende war das Wort.

***

Über den Hügeln von S’harn S’huk nahe der Ebene der Draaks lag die Nacht wie ein samtschwarzes Leichentuch, anschmiegsam und wunderschön. Silberner Nebel wallte über den Boden, erhellte trotz des fehlenden Mondes die Umgebung spärlich. Dunkle Gestalten in langen Umhängen gingen in einer geraden Linie über das Gestrüpp, das der lange Sommer zurückgelassen hatte. Die Wurzeln der Farne und kleineren Pflanzen waren nicht lang genug gewesen, um das Wasser tief im Erdboden zu erreichen und zugrunde gegangen. Die wenigen Bäume, die hier standen, verloren schon jetzt, Wochen zu früh, ihr Blattwerk und wirkten wie seelenlose Skelette, die in grenzenloser Not die Arme gen Himmel gestreckt um Hilfe schrieen.
Seit Jahrhunderten war diese Gegend verlassen; alte Legenden hielten die Völker davon ab, zwischen den Hügeln eine Existenz aufzubauen. Doch hatte der Landstrich auch nur wenig zu bieten, so dass es niemanden dazu trieb. Die Wenigen, die meinten, das Geheimnis der Mythen ergründen zu müssen, kehrten entweder nicht zurück oder wussten den Mund zu halten.
Die acht Gestalten störte das nicht, denn sie waren sich und ihrer Sache gewiss. Macht umgab jeden ihrer Schritte und die Magie, die sie woben und die auf noch kein Ziel gerichtet war, ließ die Luft flirren.
Erste Blitze zuckten am Himmel und tauchten alles in ein bläuliches Licht. Sie kündeten kein nahes Gewitter an, wie es Flora und Fauna gebraucht hätten, sondern das Ende einer Ära.
Das steinerne Grabmal, von Wind und Regen fast unkenntlich gemacht, bebte, als die Gestalten sich darum formierten. Umhänge wurden zurück geschoben und Arme, die nicht alle nur menschlich waren, streckten sich dem Stein entgegen. Eine helle Frauenstimme flüsterte jene Worte, die nicht wieder ausgesprochen gehörten.
Der Boden erzitterte, erst leicht und kaum spürbar, dann heftiger und der Stein bewegte sich zögernd. Mit der Wut der Erde wurde auch das Wirken des Findlings stärker, schien er sich bestätigt zu fühlen, in dem, was er tat. Er dehnte sich aus und feine Risse zogen Furchen über seine Schale. Die Anführerin derer, die die verbotene Magie benutzten, sog kraftvoll mit nach oben gerichtetem Antlitz magiegeschwängerte Luft in ihre Lungen und richtete dann unvermittelt mit einem einzigen Ausatmen ihre schlanken Finger auf ihr Ziel. Gewaltige Blitze, vollgesogen mit reiner Energie, schossen vom Himmel und zerschmetterten das Grabmal unter großem Getöse.
Ein Seufzen erklang, fast unhörbar vor den Lauten der herbeigezwungenen Natur und dann durchdrang ein Schrei das plötzliche Schweigen. Die Welt schien still zu stehen und die Aufmerksamkeit aller richtete sich auf den schwarzen Schatten, der sich anstelle des Steines dem Himmel entgegen erhob. Er streckte sich, als sei er viel zu lange eingesperrt gewesen, dann schnüffelte er und schließlich richteten sich seine Augen auf die Personen, die einige Schritte vor ihm standen. Diese Augen waren rot gerändert und es blitzte golden aus ihnen heraus.
Er bleckte die Zähne und knurrte, so als könne er sich nicht daran erinnern, dass er einstmals kein Tier gewesen war. Seine Sinne waren in der langen Zeit der Gefangenschaft geschärft worden, doch konnte er die Nähe zu anderen Lebewesen noch längst nicht ertragen. Als er sich der Gestalten bewusst wurde, zog er seine Muskeln zusammen und setzte zum Sprung an. Doch ehe er überhaupt dazu kam, hob die Frau an zu sprechen: „Gehorche!“
Der Schatten lachte rau.
„Gehorche!“, wiederholte sie, nicht im mindestens beleidigt.
In den Augen blitzte es und er knurrte, als er sprang. Keinen Schritt vor der Anführerin blieb er mitten in der Luft hängen, als hätte man ihn in Stein gehauen. Etwas hielt ihn fest und als er verstand, dass sie dies mit Magie zuwege brachte, schrie er seinen Zorn darüber in die Nacht hinaus. Doch er konnte sich noch immer nicht rühren. Schließlich lachte er, weil ihm klar wurde, dass man ihm nicht schaden wollte, denn wäre es so, er würde längst nicht mehr leben.
Sie kam näher und ihre Nase berührte fast sein Kinn, als sie ihm lächelnd mit den weichen Fingerspitzen langsam über die Wange fuhr. An ihrer Stimme jedoch war nichts sanft. „Ich bin Xanaide. Ich bin deine neue Meisterin.“
Ein schöner roter Knospenmund und helle, blaue Augen. Unter der Kapuze musste gelbes Haar liegen, das hatte er immer am meisten gemocht. Sicher keine Schande, einer wie dieser zu dienen. Einer Zauberin und einer unglaublich mächtigen noch dazu. Die Bande, die ihn über Jahrhunderte hinweg gebunden hatten, waren von den sieben stärksten Magiern seiner Zeit gesprochen worden.
Und er brauchte Zeit, um sich zu orientieren.
„Befiehl mir, Meisterin“, sagte er krächzend, weil seine Stimme viel zu lange unbenutzt gewesen war und er sie – wie vieles andere auch – erst wieder schärfen musste.
Sie lächelte und trat einen Schritt zurück, ohne den Blick von ihm zu nehmen. „Oh, es wird dir nicht missfallen, was ich dich tun lassen werde.“ Ihr Mund verzog sich zu einem spöttischen Lächeln. „Dein Hass auf alles was magisch ist und jene, die Magie ausüben muss grenzenlos sein.“
Er runzelte die Stirn und es grollte ungewollt in seiner Brust, was sie zu erfreuen schien.
„Was, wenn ich dir sage, dass die Ära der Türme enden wird? Was, wenn ich dir sage, dass eine neue Art im Begriff ist zu entstehen?“
Sie hatte ihn mit diesen wenigen Worten mehr an sich gebunden, als es jeder Zauber oder jede Eisenkette es jemals vermocht hätten. Er drehte den Kopf zu den anderen Gestalten, die er nur unscharf erkennen konnte und seine Augen weiteten sich vor aufkeimenden Interesse. Das Weib glaubte, was es sagte und sie war aus vielerlei Gründen fähig, wahr zu machen, was sie wollte. Sie musste jedoch entweder komplett verrückt sein oder unheimlich begabt. Er lachte kurz, als er sich daran erinnerte, dass man ihm selbst auch beides nachgesagt hatte.
Sie drehte sich von ihm fort und mit dem Rücken zu ihm, deutete sie ihren Gefährten an, ihn frei gehen zu lassen. Unsanft kamen seine bloßen Füße auf dem Boden auf.
„Merke dir meinen Namen gut“, sprach sie, ohne sich umzuwenden. „Verkünde ihn jenen, die nicht auf unserer Seite stehen – und wer nicht für uns ist, ist gegen uns!“
Sie wollte also deren Tod.
„Xanaide.“ Sie drehte sich so heftig um, dass ihr die Kapuze vom Kopf rutschte und den Blick auf Haar frei gab, dessen roter Schein nicht einmal vom Dunkel der Nacht überdeckt wurde. „Xanaide, die neue Herrscherin über dieses Land. Xanaide, die Schöpferin des achten Turms.“
Ihr Lachen begleitete ihn fortan durch seine Träume.


0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen