Samstag, 16. Januar 2010

Kapitel 1 (8)


Eine große, ebene Fläche ganz in Weiß breitete sich vor ihnen aus. Begrenzt wurde sie in der Ferne von einem hüfthohen verzierten Geländer, das aber nur ein sichtbares Hindernis zwischen der Plattform und dem Nichts aus Luft sein sollte. Es waren ebenso magische Barrieren errichtet worden, damit niemand hinunterfiel.
Zephyrim ging voraus und winkte Glan aus einem, Reyna völlig unverständlichen Grund, ihnen zu folgen.
Die Plattform war nicht leer. Überall eilten Magier geschäftig umher. Männer und Frauen in bodenlangen Gewändern, in allen möglichen und unmöglichen Farben, die man sich vorstellen konnte, liefen zwischen den zahlreichen Aufzügen und der Ebene hin und her. Magieschüler bewegten sich zwischen ihnen und auch Lakaien.
Reyna schaute sich mit großen Augen um. Hier oben war sie noch nie gewesen und beinahe hätte sie den Anschluss an ihren Arbeitgeber verloren, hätte Glan sie nicht am Arm gepackt hinter sich hergezogen.
Die Luft war dünn und kalt, vor den Barrieren bewegte sie sich milchig weiß hin und her. Schatten zogen durch sie hindurch und Reyna wurde klar, dass sie gleich einem Drachen so nahe kommen würde, wie niemals zuvor.
Zephyrim bewegte sich selbstsicher durch die Masse an Magiern, die jedem Volk, das es gab, angehörten. Sie machten ihm ganz bereitwillig Platz, manchmal voller Respekt und manchmal, das erstaunte Reyna, mit Angst in ihren Augen.
Glan hielt sie noch immer am Arm, doch sie machte sich mit brennenden Wangen von ihm los und redete sich ein, es werfe ein schlechtes Licht auf sie.
Zephyrim blieb dicht vor dem verzierten Geländer stehen und hob beide Arme. Sofort waren etliche Schüler herangetreten und im Halbkreis um sie herum stehen geblieben.
Die Barriere zitterte merklich auf und gab dann plötzlich eine Öffnung frei. Nebel wallte herein, aber ein rothaariger Schüler, fast schon ein erwachsener Mann, trat ungerührt durch die Öffnung hindurch und sprang. Reynas Mund entwich ein Schreckenslaut, der ihr die Aufmerksamkeit aller anderen einbrachte. Sie lachten sie aus. Alle, außer Glan, der böse in die Menge schaute, bis sich die Blicke abgewendet hatten.
Ein Schatten flog dicht an der Öffnung vorbei und Reyna erkannte schwarze, lederne Flügel. Sie huschten so schnell vorbei, dass der Nebel heftig aufwallte und nichts richtig zu erkennen war.
Ein Schüler nach dem anderen trat zu der Öffnung und sprang hinab, dann folgte ein Schatten, wieder ein Schüler und wieder ein Schatten. Solange, bis niemand außer Reyna, Glan und Zephyrim übrig geblieben war.
Der Magier winkte sie heran.
„Du weißt, was du zu tun hast“, sagte er und blickte ihr tief in die Augen. Als sie die Aufgabe wiederholen wollte, winkte er rasch ab und sie fragte sich, ob er vielleicht argwöhnisch gegenüber dem Schüler war.
Die violetten Augen wandten sich von ihr ab und richteten sich auf Glan. „Du wirst sie sicher zum dritten Turm bringen und dafür sorgen, dass man sie vorlässt.“
Glan nickte ernsthaft, obwohl er nicht so wirkte, als habe er mit dieser Aufgabe gerechnet.
„Aber ...“, begann Reyna heftig, zu überrascht, um mehr zu sagen. Das war nicht abgemacht! Sie brauchte keinen Aufpasser!
Zephyrim unterbrach sie. „Er weiß, wie man mit dem Drachen umgeht. Er wird ihn in Schach halten und dafür sorgen, dass er euch sicher an euer Ziel bringt.“
Sie schluckte, weil sie ihm glaubte, dass dies nötig werden könnte. Drachen konnten sehr wohl gefährlich werden und Reyna hatte keine Ausbildung erhalten wie Glan.
In diesem Augenblick fasste sie den Entschluss, bei ihrer Rückkehr sofort zu kündigen. Diese Magier waren einfach nichts für sie und es zahlten auch andere Berufe anständige Verdienste.
Schwalbe gab einen seiner krächzenden Laute von sich und warnte sie damit vor, dass er sich auf ihrer Schulter niederlassen würde. Das gefiel ihr gar nicht, sie hätte ihn lieber auf dem Arm gehabt, aber den nahm schon wieder Glan und trat mit ihr zu der Barrierenöffnung.
Kühle Luft strömte Reyna entgegen, ihr Haar flatterte im Wind und sie wagte es nicht, nach unten zu sehen.
„Viel Glück“, murmelte Zephyrim hinter ihr, doch ehe sie sich noch einmal umdrehen konnte, war Glan auch schon gesprungen und hatte sie mit sich gezogen. Weiß umhüllte Reyna und sie hatte das Gefühl zu schweben.
Dann fiel sie.


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