Montag, 18. Januar 2010

Kapitel 2 (1)


„Hier ist dein Zimmer“, sagte der dickbäuchige Mann mit den lichten, grauen Haaren. Er grinste hämisch und Noe sah sofort, dass er allen Grund dazu hatte. Ein Mädchen mit braunen Haaren erhob sich, als sie den Hausverwalter und ihre zukünftige Zimmergenossin erblickte.
„Was soll das bedeuten? Mir ist zugesichert worden, dass ich allein wohnen kann!“ Noe hatte wütend die Stirn gerunzelt und gern ihre Hände um den Hals des hässlichen Mannes gelegt.
„Das mag sein“, antwortete der ihr in einem ätzenden Tonfall. „Aber es ist sonst nichts frei und auch sie hat Gönner.“ Er sagte das, als sei es ein Verbrechen.
Noe schluckte ihre harten Worte hinunter, denn zumindest heute würde sie keine andere Bleibe mehr finden, dazu war es einfach zu spät. Morgen dagegen war ein neuer Tag mit neuen Möglichkeiten. Also nickte sie den, um einen Kopf kleineren, Mann zähneknirschend an, der sich seinen Triumph deutlich ansehen ließ.
Sie knallte ihm die Tür vor der Nase zu, warf ihr Bündel achtlos in den Schrank, wandte sich dann der Fensterfront zu und ignorierte gekonnt das andere Mädchen.
Die Aussicht war mies, eine kleine dreckige und stinkende Gasse lag zwischen diesem und dem nächsten Haus. Sie könnte ohne große Mühe der Familie hinter dem Fenster gegenüber auf das Abendessen spucken.
„Ich bin Reyna“, sagte die andere plötzlich hinter ihr und Noe seufzte tief auf. Es interessierte sie nicht sonderlich, aber diese eine Nacht mussten sie wohl oder übel miteinander auskommen.
„Noe“, antwortete sie ihr also, ohne sich umzudrehen.
„Ich schlafe auf dem Boden und morgen suche ich mir etwas Neues.“ Die Stimme der anderen war rein und ohne Anklage. Noe drehte sich überrascht um. Die großen, blauen Augen ihres Gegenübers strahlten sowohl etwas ehrliches, als auch etwas schalkhaftes aus.
„Wieso willst du das tun?“, fragte Noe bedächtig. Irgendwie rechnete sie mit einer Hinterhältigkeit, die es an dem anderen Mädchen – Reyna, erinnerte sie sich – nicht gab.
„Man hat uns beide betrogen. Auch mir ist ein Raum für mich allein zugesagt worden, aber das lässt sich heute nicht mehr ändern.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Außerdem wird es mir nicht schwer fallen, etwas anderes zu finden.“
Sie sagte das, als wäre es wirklich nichts besonderes, in dieser überfüllten Stadt.
Noe runzelte die Stirn. „Für mich wäre es auch kein Problem!“ Um das mal gleich klar zu stellen.
Reyna lächelte. „Ich weiß. Lass es mich trotzdem tun.“
Noe wusste zunächst nicht, was sie dazu sagen sollte. Aber dann zogen sich ihre Augenbrauen zusammen. „Nein!“
Die andere wirkte überrascht. „Dann willst du ...“
Noe unterbrach sie harsch. „Nein, wir werden uns das Bett teilen, es ist groß genug.“ Niemand war überraschter über diese Worte, als sie selbst. Gekonnt redete sie sich ein, dass sie einzig und allein diesem Glatzkopf von Hausverwalter seinen Triumph nicht gönnte, denn wie sollte sie Vertrauen zu jemanden gefasst haben, den sie keine halbe Stunde lang kannte?
Das Lächeln Reynas schloss ihre Augen mit ein und es war, als würden die Kerzen mit einem Mal heller scheinen.
„Dann lass es uns hinter uns bringen?“ Sie zwinkerte und ging hinüber zu dem kleinen Beistellschrank neben der Tür, auf dem es Krug und Wasser gab.
Noe schluckte, drehte sich wieder dem Ausblick aus dem Fenster zu und fragte sich, welcher Dämon sie dazu bewogen hatte dies zu tun. Eine Fremde; fast, nicht mehr so ganz.
Sie schloss seufzend das Fenster, zog Stiefel und Socken aus und legte sich dann eng an die Wand. Reyna folgte bald, nachdem sie noch etwas im Schrank gekramt hatte und legte sich dazu.
Sie roch schwach nach Veilchen.


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