Donnerstag, 18. Februar 2010

Kapitel 2 (8)


Ihr Meister sah auf, als sie hinein kam. Sein Gesicht verriet nicht, was er dachte, aber er schien sie abschätzig zu mustern. Die kantigen Züge von Volan Andrys, in die sich mit den Jahren nur wenige Falten geschummelt hatten, wirkten stets so unberührbar und kalt wie Stein. Noe hatte ihn nie anders erlebt.
Brint winkte sie näher an den Tisch ihres Meister heran. Das Holz war dunkel und geschliffen, geheimnisvolle Muster wirbelten über die Oberfläche und verschwanden unter Pergamenten, Büchern und sogar einigen Dolchen. Zwei Becher standen am Rand, einer davon noch unberührt und erst da wurde Noe klar, dass sich noch jemand im Raum befand. Der hochgewachsene Mann wandte ihr den Rücken zu. Mit dem linken Arm stützte er sich am Sockel des Kamins ab und mit der rechten stocherte er wie gelangweilt mit einem Eisen in der kalten Asche. Breite Schultern, sehnig, garantiert gewandt und schnell, ging es Noe durch den Kopf. Aber man würde sie sicher nicht gegen ihn kämpfen lassen, nicht hier. Wäre er ein Feind, wäre er nie so weit gekommen.
Andrys sagte noch immer kein Wort und Noe wurde klar, dass er dem anderen Mann Zeit geben wollte, sie zu bemerken. Dieser Gedanke ließ eine leichte Zornesröte auf ihren Wangen erscheinen, bevor sie sich wieder in der Gewalt hatte.
„Wir haben auf dich gewartet“, sprach er schließlich. Sie wusste nicht, ob das ein Tadel sein sollte.
„Es ist noch etwas Unvorhergesehenes dazwischen gekommen.“ Auf seine hochgezogenen Augenbrauen fügte sie an: „Nichts, was für die Garde von Belang wäre.“
Die Schultern des Fremden zuckten, als er leise lachte. Seine Stimme war rau, auch wenn er sehr leise sprach. „Bist du da sicher?“
Noe runzelte die Stirn. „Natürlich.“
„In Zeiten wie diesen ist alles von Belang für die Garde, Mädchen.“ Wie raschelndes Laub, fuhr es Noe durch den Kopf.
„Meine Mitbewohnerin ist vom Turm für einige Tage wegbeordert worden.“ Wenn er es denn nun unbedingt wissen musste, bitte schön!
Ihr Meister sprang auf und fluchte. „So bald? Wo ist sie hin?“
„Das weiß ich nicht“, sagte Noe verunsichert. Plötzlich schnürte es ihr die Luft ab, als sich Hände wie Krallen um ihre Kehle legten. Es war der Fremde, sie hatte nicht einmal gemerkt, wie er sich ihr genähert hatte. Seine Augen blitzten golden auf, aber das erste, was ihr auffiel war, dass er gar nicht so alt war, wie sie zunächst gedacht hatte.
„Du lügst!“


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